martinipercht

Publiziert 13. November 2011 | Von Josef Gruber

Dieser Artikel braucht vorab eine kleine Einschulung. Ohne zwei Mundartausdrücke kommt man zum Thema „Martinipercht“ nämlich nicht aus. Erstens: man spricht das Wort in der Überschrift so aus: Moschtinipercht, das „e“ in Percht als reinrassiges „e“ und nicht als „ea“ gesprochen. Das „r“ dann dafür rollend. Und der zweite ebenfalls unverzichtbare Ausdruck ist das Wort „Fåck“ – spricht sich so wie „Fock“, nur anders. Der „Fåck“ ist das Schwein. 

 

Martiniperchtbrauchtum in Hüttschlag

In Hüttschlag gibt es nun um Martini den erst vor ein paar Jahren von einer Gruppe junger Hüttschlager wiederbelebten schönen Brauch der Martinipercht (in Großarl kennt man diesen Brauch übrigens gar nicht). Nach alter Tradition ziehen die Almleute zu Martini endgültig aus der Almhütte aus. Und beim Martinipercht-Gehen wird dieses Ende des Almsommers nachgespielt. Darsteller sind die Nachtsennerin, der Bauer und der Hiata sowie eine möglichst große Menge an (verkleideten) Alm-Fåckn. Der Hiata hat auch den „Schnurraus“ mit – dieses Almabtriebsgebäck über den in unserem Almblog schon ein paar Mal berichtet wurde. Ich hatte nun die Ehre da bei der Moschtinipercht mitzumachen. Das spricht sehr für die Hüttschlager, dass sie mich da als waschechten Großarler und damit einzigen „Ausländer“ dulden, das ist gelebte Integration, so wie es die hohe Politik immer von uns verlangt. Unter diesen Umständen sieht man den Hüttschlagern dann sogar nach, dass unmittelbar nach der Begrüßung des „Liftlers“ der Vergleich mit dem Mang (Murmeltier) über die Lippen ging. „Liftler“ seien das Gegenteil von Mang, die einen erstarren im Sommer, Zweitgenannte im Winter.

 

Nun die Einschulung für meine verantwortungsvolle Rolle durch Hans-Jörg, auch Arbeitskollege von mir. Ich hab mich für einen der vielen „Fåckn“ entschieden, aus dieser Perspektive kann man das Brauchtum sicher hautnah, eher bodennah, miterleben (wollte schon immer einmal ein Schwein sein). Leider war ich nicht gut vorbereitet und im Zuge der Einweisung erfuhr ich, dass die Fåckn in den Häusern nur kriechen dürfen, sie bekriechen als Erste das Haus, hintennach kommen Sennin, Bauer und Hiata. Wenn ich das gewusst hätte, wär ich vielleicht mit Knieschützer aufgetaucht. Aber egal, ungeschützter ist das Brauchtumserlebnis sicher viel intensiver. Regel 2: es kann vorkommen, dass die Fåckn von den Kindern verdroschen werden, voriges Jahr holte sich ein Schwein eine deutlich blutende Nase. Also aufpassen. Ähnlich die Regel 3: Kinder hätten sich schon erkundigt, was man den Fåckn den so einstreut, wenn sie Haus und Küche betreten. Bestenfalls ist mit Sägespänen, schlimmstenfalls mit verstreuten Reisnägeln zu rechnen. Super! Und Regel 4: die Fåckn haben die Aufgabe die Bewohner etwas an den Füßen zu zwicken, ganz sanft natürlich. Nachdem sie von meiner Auffassungsgabe offenbar überwältig waren und ich so tat wie wenn ich alles verstanden hätte, wurde ich spontan zum Vor-Fåck ernannt. Welch ein Vertrauensbeweis, zwar ohne praktische Auswirkung im Martiniperchtgehen aber doch eine ähnlich erstrebenswerte Ehre wie die Ernennung zum „Präsidenten“ oder zum „Hofrat“. 

 

Und bevor es jetzt richtig los geht Stimmölung mit Bier und Schnaps, Verkleidung, eine kleine Probe und dann losgelassen. Der „Gstoamannbauer“ hat das Glück uns als erster aufzunehmen. Gesamte Großfamilie schön versammelt, inklusive dem „Sepp“ von der Draugsteinalm, einer meiner Lieblingshirter in unserem Tal der Almen. Hat gerade den 54. Almsommer hinter sich gebracht. Den Simon wiederum, Gstoamann-Abkömmling und Tischlermeister haben die Schweine zu Boden gebracht, das Geschrei der am Boden liegenden ist kaum zu unterscheiden. Nachdem die Schweine mit mitgebrachter Gerste beruhigt werden konnten, klopfen Bauer und Nachtsennin ihre Sprüche herunter. Die Nachtsennin rührt dabei am mitgebrachten Butterfass, an dem dann der Bauer oder im Haus anwesende Almleute gelegentlich durch Abschmecken des Verschlusszapfens kosten  müssen ob der Butter schon fertig ist. Sehr humorvolle Aufführung. Zwischendrin wird vom Almpersonal samt Fåckn jeweils eine Strophe von „In die Berg bin i gern“ und „Der Summa i umma“ gesungen. Schon stimmungsvoll, da und dort sieht man eine Träne in den Augenwinkeln stehen. Möglicherweise wegen diesen hochemotionalen Liedern, aber auch wegen der Qualität der Gesangsdarbietung nicht restlos ausgeschlossen. Am Ende dieser Aufführung wird dann der Schnurraus verteilt und in die Gegenrichtung fließt etwas zur Stimmölung. Für mich einen Schnaps bitte. Aja, Geld für die Martiniperchten gibt es auch in jedem Haus, das dann für Großarltaler karitative Zwecke eingesetzt wird. 

 

Die nächsten Glücklichen sind mehrere Gehöfte bei den Kreebauern. Wieder sitzen überall alle wie aufgefahndelt in der Stube, Almleute (Wast und Gretl von der Kreealm) auch hier anzutreffen. Beim 2. Hof  verteidigt die jüngste die Mama vor den Zugriffen durch die Fåckn. Sehr brav, die Schweine beruhigen sich. Aber die Sager von Nachtsennin und Bauern waren zuvor anders kommt mir vor, irgendwie nehmen die Texte schon Dynamik an. Die Gerste ist extrem trocken. Für mich einen Schlaps bitte. 

 

Die nächste Sennerin, die Kathi von der Draugsteinalm (54 Almsommer), verkostet gleich selbst ob der Butter schon „feschtig“ ist. Sie ist sehr zufrieden wie die Nachtsennerin den Rührkübel (Butterfass) treibt. Irgendwie tun mir die Knie schon etwas weh, ich fang das Brauchtum zu spüren an. Hier in diesem Haus haben sich gleich 2 Gäste von der Straße dazugesellt, so etwas haben sie gesehen auch noch nie. Leichtes zwicken der Dame durch die Schweine am oberen Stiefelrand, paah so hohe Stiefel. Sonst hier keine Vorfälle. Gegen den Flüssigkeitsverlust nehm ich ein Brr. 

 

Im nächsten Haus werken wir dann etwas in der Finsternis. Wenn eine Haustür unversperrt ist gilt das als deutliche Einladung zum Eintreten. Hier dann die erste Gewaltandrohung gegen den Vor-Fåck – „wennst mich noch einmal zwickst dann tret ich Dich“. Ok, war nicht so gemeint, Rückzug. Auch die „Zieherei“ unseres ländlichen Gesangs kommt nicht restlos an, dem mit deutlichem Ohren zuhalten aber begegnet werden konnte. Aber sonst war’s auch hier nett, bissl anders halt. Danke für den köstlichen Schlps.

 

Im nächsten Haus schlafen schon alle? Nein, man wird doch noch fündig. Das Textprogramm von Sennerin und Bauern hat sich deutlich weiterentwickelt. Jeder Auftritt ist ein Unikat, ein einmaliges Schauspiel. Dann ein kleiner Fauxpas – man hat die leichte Anspielung bezüglich akuter Kehlkopfübertrocknung falsch gedeutet, wir kriegen Wasser.

 

Wir sind nun alle so richtig gut in unseren Rollen. Noch 1, 2, 3 Häuser und dann geht so beim 9. oder 10. Haus aber trotzdem ein Ende her. Es ist nämlich schon spät. Und „Au“ die Knie. Der Text der sonst äußerst sattelfesten Nachtsennerin hat sich in der Zwischenzeit restlos an die neuzeitlichen Gegebenheiten angepasst. „Homma a Handl voi Seuz auf’n E-Herschd gleg fi d’ Wintersennin …“. E-Herd auf der Alm? Da und dort vielleicht. Wenn wir schon so weit in der Neuzeit angekommen sind, Zeit für heute abzuschließen. Mit Fleischkrapfen, beste Fleischkrapfen (Köchin Huttegger Roswitha samt ihren Dirndln kann wärmstens weiterempfohlen werden). Ein Brr und ein Schlps noch für Almpersonal samt Schweinchen, redlich verdient, bevors ab geht ins Bett. Beim Einschlafen werd ich heute einmal Schweindl statt Schafe zählen. 

 

Ein Hinweis an jene Leser die sich besonders mit historischen Zusammenhängen des Brauchtums beschäftigen. Kann sein, dass das eine oder andere hier noch zu sagen wäre oder nicht alles auf Punkt und Beistrich getroffen wurde.  War keine Absicht. Der Artikel sollte diesen Brauch von innen heraus, also aus Sicht der Darsteller, ins Licht rücken.

 

Einen ungemein schönen, einzigartigen und lustigen Brauch habt ihr da wiederbelebt, liebe Hüttschlager. Sehr wertvoll – dieser uralte in humorvoller Weise nachgespielte „Almabschied“ – wo würde dieses Brauchtum besser hinpassen als ins „Tal der Almen“. Sicher haben wir in jedes Haus auch Glück gebracht, zumindest aber lustige Momente die jeder Seele gut tun.

 

© Josef Gruber

Link zum Originaltext mit Bilder: https://www.blogarchiv.at/2011/11/13/martinipercht/